BAG hat Betriebsrat als Kollegialorgan gestärkt!
In der Frage der Anscheinsvollmacht des Betriebsratsvorsitzenden folgt das Bundes-arbeitsgericht nicht der bisherigen Rechtsprechung. Das BAG stellt fest: Der Betriebsrats-vorsitzende darf allein keine Betriebsvereinbarung im Namen des Betriebsrats abschließen. Nur gemeinsam kann ein Betriebsrat Betriebsvereinbarungen abschließen. Zur eigenen Sicherheit dürfen Arbeitgeber einen Ausschnitt des Protokolls der entsprechenden Beschlussfassung verlangen.
Bislang folgten die Richter an Arbeitsgerichten, wie am Landesarbeitsgericht Düsseldorf, eng dem Grundsatz der Anscheinsvollmacht. So entschieden die Richter in Düsseldorf, dass bei Bestehen einer solchen Scheinvollmacht ein Betriebsratsvorsitzender im Alleingang auch ohne Beschluss des gesamten Gremiums eine Betriebsvereinbarung abschließen kann (Az.: 11 Sa 490/20 u. 5 Sa 752/19). In nächster Instanz wurde diese Frage den Richtern am Bundesarbeitsgericht in Erfurt vorgelegt. Jene kamen im selben Sachverhalt zu einem überraschend anders lautenden Urteil (Az.: 1 AZR 233/21). So ist nun – selbst, wenn die übrigen Mitglieder eines Betriebsrats mit dem Vorgehen des Vorsitzenden einverstanden gewesen wären – eine derartig zustande gekommene Betriebsvereinbarung unwirksam. Denn nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ist und handelt der Betriebsrat immer als Kollegialorgan.
»Eine Erklärung des Betriebsratsvorsitzenden ohne entsprechenden Betriebsratsbeschluss ist unwirksam und kann keine Rechtswirkungen entfalten.«
In ihrer Begründung erklärten die Erfurter Richter genauer, dass der Betriebsrat als Kollegialorgan seinen gemeinsamen Willen durch Beschluss bildet (§ 33 BetrVG). Eine Erklärung des Betriebsratsvorsitzenden ohne entsprechenden Betriebsratsbeschluss ist unwirksam und kann keine Rechtswirkungen entfalten. Auch kann dem Betriebsrat nicht auf der Grundlage einer Anscheinsvollmacht eine derartig vom Vorsitzenden abgegebene Erklärung zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung zugerechnet werden. Um diese Entscheidung besser verstehen zu können, muss man das Rechtsprinzip der Anscheinsvollmacht etwas genauer betrachten.
Die Anscheinsvollmacht
Der Grundsatz der Anscheinsvollmacht beschreibt ein Rechtsverhältnis, in welchem eine handelnde Person von einer vertretenen Person keine wirksame Vollmacht bekommen hat. Jedoch könnte eine gutgläubige andere Vertragspartei das Bestehen einer solchen Vollmacht berechtigterweise annehmen.
Dieses Verhältnis setzt zunächst einmal voraus, dass ein Vertretener zwar das Handeln des scheinbaren Vertreters nicht kennt. Zugleich hätte der (Schein)Vertretene jenes Handeln aber bei einem pflichtgemäßen und sorgfältigen Vorgehen erkennen und gegebenenfalls verhindern können. Nur so kann auch eine andere Vertragspartei gegenüber dem (Schein)Vertreter darauf vertrauen, dass der Vertretene das Handeln des Vertreters kennt und billigt. Diese Anforderungen müssen erfüllt sein, damit eine vom Scheinvertreter im Namen des Vertretenen abgegebene Willenserklärung dem Vertretenen zugerechnet werden kann.
Keine unmittelbare Anwendung
Dieser Rechtsgrundsatz der Anscheinsvollmacht kann jedoch auf das Verhältnis von Betriebsrat und Betriebsratsvorsitzenden unmittelbar keine Anwendung finden. Denn einer unmittelbaren Anwendung des Grundsatzes der Anscheinsvollmacht steht die vom Gesetz vorgesehene Verknüpfung von Willensbildung im Gremium und Erklärung im Namen des Gremiums entgegen.
Denn dem Betriebsverfassungsgesetz folgend ist die rechtliche Stellung des Betriebsratsvorsitzenden auf besondere Weise ausgestaltet. So gilt nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BetrVG, dass der Betriebsratsvorsitzende den Betriebsrat lediglich im Rahmen der – von dem Gremium gefassten – Beschlüsse vertreten kann. Dem Betriebsratsvorsitzenden kommt somit vom Gesetz keine Befugnis für einen rechtsgeschäftliche Willensbildung anstelle des Betriebsrats zu. Der Vorsitzende kann im Gegensatz zu einem rechtsgeschäftlichen oder gesetzlichen Vertreter keine Vertretung im Willen übernehmen. Ihm ist dies nur in der Erklärung möglich.
Eine Entscheidungsbefugnis aus eigenem Recht hat der Betriebsratsvorsitzende daher lediglich in den ausdrücklich im Gesetz aufgeführten Fällen. Außerhalb dieser Fälle ist er auf die gemeinsame Willensbildung im Gremium angewiesen. Da es sich jedoch bei einem Betriebsrat um ein Kollegialorgan handelt, ist dessen Willensbildung allein durch die Fassung eines Beschlusses möglich. Wenn der Betriebsratsvorsitzende für den Betriebsrat eine Erklärung abgibt, so trifft er nicht anstelle des Betriebsrats eine auf eigenem Willensentschluss beruhende Entscheidung. Vielmehr kann der Vorsitzende im Namen des Betriebsrats nur die, durch gemeinsame Willensbildung gefasste, Entscheidung äußern.
Willensbildung nach demokratischen Prinzipien
Auch anderweitig verbietet das BetrVG die Anwendung der Anscheinsvollmacht. Denn bei Vereinbarungen zwischen Betrieb und Betriebsrat sind von der Rechtswirkung nicht nur die beiden Vertragsparteien betroffenen. Die betriebszugehörigen Arbeitnehmer sind dabei auch immer direkt und unmittelbar betroffen. Für diese könnte sich jedoch der Grundsatz der Anscheinsvollmacht rechtlich nachteilig auswirken. Im Anwendungsbereich des BetrVG ist die Anwendung der Anscheinsvollmacht daher verboten.
»Im Anwendungsbereich des BetrVG ist die Anwendung der Anscheinsvollmacht daher verboten.«
Dem Betriebsrat kommt seine Legitimation erst durch seine Rolle als Repräsentanz der Belegschaft zu. Hierzu muss der Betriebsrat durch regelmäßige demokratische Wahlen bestimmt werden. Die Willensbildung des Gremiums muss folglich auch demokratischen Grundprinzipien gerecht werden.
Auch Arbeitgeber braucht Rechtssicherheit
Das Bedürfnis von Arbeitgebern nach Rechtssicherheit in Vereinbarungen mit dem Betriebsrat haben die Richter auch erkannt. Trotzdem ist dieses Interesse nicht ausreichend stark, als dass hier das Prinzip der Anscheinsvollmacht angewendet werden dürfte. Die erwartbaren Nachteile für die Arbeitnehmer und die Widersprüchlichkeit zum Wesen des Betriebsrats nach BetrVG überwiegen zu deutlich.
Auch weil leicht eine Abhilfe zu schaffen ist. Denn es genügt, dass der Arbeitgeber vom Betriebsrat aus dem Sitzungsprotokoll eine Teilabschrift bekommt. Wenn sich aus jener die Beschlussfassung des Betriebsrats und somit die Zustimmung zu einer Betriebsvereinbarung ergibt, so ist dies für die Rechtssicherheit des Arbeitgebers ausreichend.