Süddeutschland hat noch viel Luft nach oben
Nicht erst seit dem Ukrainekrieg ist klar, Stromkosten sind ein entscheidender Standortfaktor. Schlagen sich doch die Energiekosten direkt in den Herstellungskosten nieder. Bei der Reduktion dieser Kosten kommt den erneuerbaren Energieträgern eine Schlüsselstellung zu. Die Industrieregionen im Süden Deutschlands müssen zusehen, dass sie in dieser wichtigen Zukunftsfrage nicht ins Hintertreffen geraten.
Regierende stellen sich selbst sehr gerne gute Zeugnisse in Sachen Energiewende aus. Auch die Landesregierungen von Bayern und Baden-Württemberg bilden da keine Ausnahmen. Und auch die Wissenschaft scheint den beiden Regierungen hier Recht zu geben. Wenn man vergleichende Studien wie den letzten „Bundesländervergleich erneuerbare Energien“ des DIW von 2019 betrachtet, so begegnet man Baden-Württemberg und Bayern oft auf den Spitzenpositionen. Alles bestens im Süden Deutschlands in Sachen Energiepolitik könnte man meinen.
Jedoch der Schein trügt. Bayern und Baden-Württemberg haben erhebliche Defizite. Groß sind ihre Probleme, ihre jeweilige Stromerzeugung Zukunfts- und Krisenfest zu machen. Um diese verdeckten Probleme zu verstehen, muss man zunächst den Strommix der beiden Südländer betrachten.
Auf den Strommix kommt es an
Unter Strommix wird von der Energiewirtschaft die Zusammensetzung der Stromerzeugung in einem Staat verstanden. Er beschreibt auf Grundlage des jeweiligen Bruttostromverbrauchs die Anteile der verschiedenen Energieträger, wie Kernenergie, Gas/Kohle, Windkraft etc. an der Stromerzeugung.
In Baden-Württemberg betrug laut Statistischem Landesamt Baden-Württemberg der Anteil der Erneuerbaren Energien an der Bruttostromerzeugung im Jahr 2020 40,6%. Das ist gegenüber 2018, wo die erneuerbaren Energieträger noch 28,2% des Strommix ausmachten, ein satter Anstieg. In Bayern kamen laut dem Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie im Jahr 2020 sogar 52,3% der Bruttostromerzeugung aus erneuerbaren Energieträgern.
Jedoch auch hier ist die Zusammensetzung das Entscheidende. Die Zusammenfassung in „erneuerbare Energieträger“ ist recht pauschal. Es gibt unterschiedliche Arten auf erneuerbare Weise Strom zu erzeugen. Da wäre zum Beispiel Wasserkraft, Windkraft, Solarenergie und eben auch Energiegewinnung aus Biomasse. 2020, wurden in Baden-Württemberg 27,5% der Bruttostromerzeugung aus erneuerbaren Energieträgern aus Biomasse gewonnen. Bayern hat ein ähnliches Problem wie Baden-Württemberg. Im Freistaat machte die Energiegewinnung aus Biomasse 25,6% des erneuerbaren Strommix aus. Doch warum ist dieser große Anteil an Energiegewinnung aus Biomasse problematisch? Um dies zu verstehen, muss man die Auswirkungen der Nutzung von Biomasse zur Energiegewinnung in den Blick nehmen.
Problematische Biomasse
Die Nutzung von Biomasse zur Gewinnung von Energie wird mittlerweile weltweit sehr kritisch gesehen. So stell zum Beispiel das Umweltbundesamt zwar fest, dass Biomasse teilweise eine bessere Treibhausgasbilanz als fossile Energieträger hat und erklärt, dass eine pauschale Bewertung der Umweltfreundlichkeit von Bioenergie aufgrund ihrer Vielfältigkeit nicht sinnvoll und stattdessen im jeweiligen Einzelfall eine Betrachtung notwendig sei. Jedoch ist für das Umweltbundesamt auch klar, mit dem Anbau von Biomasse zur energetischen Nutzung sind vielfältige negative Auswirkungen auf Mensch und Natur verbunden.
Ein oft genanntes Problem ist hier die Flächeneffizienz. Fruchtbare Flächen sind eine zunehmend knappe Ressource. Weltweit gibt es einen immer größeren Hunger nach fruchtbaren Böden. Dieser Mangel an fruchtbaren Böden birgt ein immer größeres Konfliktpotenzial in sich. Zu diesem Problem kommen jetzt die übereinstimmenden Erkenntnisse unterschiedlicher wissenschaftlicher Studien, welche ganz klar zeigen, Solarenergie und Windkraft sind der Biomasse bei der Ausnutzung einer Fläche zur Energiegewinnung um ein Vielfaches überlegen und wesentlich effizienter. Außerdem können Solarenergie und Windkraft auch im Fall von schon bebauten Flächen oder unfruchtbaren Böden genutzt werden. Biomasse ist, wenn sie als Anbaubiomasse auf fruchtbare Flächen angewiesen ist, eine sehr verschwenderische und problematische Technologie.
»In Westafrika hungern dreimal so viele wie noch vor drei Jahren.«
Die Konkurrenz zum Anbau von Nahrungs- und Futtermitteln wird auch an der immer wieder aufkommenden „Teller oder Tank“ Debatte deutlich. Doch diese Konkurrenz ist lebensgefährlich, kommt es doch aufgrund von akuten Knappheiten immer wieder zu Kostenexplosionen und Preisspitzen bei Futter- und Nahrungsmitteln.
So treiben jetzt gerade auch aktuelle Krisen, wie die Missernten wegen der Hitzewelle in Indien oder den Einschränkungen durch den Ukrainekrieg, die Preise in astronomische Höhen. Darunter leiden tun vor allem die besonders verwundbaren Bevölkerungsgruppen und ärmeren Staaten, deren Versorgung gefährdet ist. So werden wegen der aktuell explosionsartig gestiegenen Getreidepreise allein in Westafrika in den kommenden Monaten fast 38 Millionen Menschen hungern müssen. „Das sind dreimal so viele wie noch vor drei Jahren.“ sagt die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock.
Keine Zukunft für Anbaubiomasse
Die aktuellen Krisen verschärfen aber nur eigentlich schon bestehende Probleme. So erklärt Dr. Benjamin Bodirsky vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung: „Also, wir haben auch schon in den letzten Jahren genug Produktion weltweit gehabt, um eine viel größere Bevölkerung sogar satt zu bekommen. Aber das Problem ist eher die Verteilung. Und diese Verteilung zeichnet sich dadurch aus, dass die Leute, die ärmsten Leute auf der Welt, nicht genügend Kaufkraft haben, um mitzuhalten mit der Nachfrage nach Futtermitteln, mit der Nachfrage auch nach Bioenergie.“
»Die Leute haben nicht genügend Kaufkraft, um mit der Nachfrage nach Bioenergie mitzuhalten «
Angesichts all dieser Kritik verwundert es nicht, dass das Umweltbundesamt empfiehlt wegen der zahlreichen Risiken und Probleme die energetische Nutzung von Anbaubiomasse nicht auszuweiten. Stattdessen sollte bei Erträgen aus landwirtschaftlichem Anbau lieber einer Verwendung als Nahrungs- oder Futtermittel Vorrang eingeräumt werden.
Mit dieser Position steht das Umweltbundesamt nicht alleine da. So meint die Bonner Junior-Professorin für Nachhaltige Entwicklung, Lisa Biber-Freudenberger: „Angesichts dessen, dass global ein Großteil der landwirtschaftlichen Erträge insbesondere in Lateinamerika oder Südostasien bereits heute produziert werden, um dann verfüttert oder verheizt zu werden, würde ich eher eine Debatte darüber führen, ob wir zum Beispiel die Subventionen für Energie aus Biomasse abschaffen […].“
Doch was bedeutet diese vernichtende Bilanz der Anbaubiomasse für Baden-Württemberg und Bayern? Die beiden Länder haben bisher beim Ausbau von Erneuerbaren Energieträgern verhältnismäßig stark auf die konfliktbehaftete Biomasse gesetzt und damit auf eine Technologie, die angesichts immer weiter steigender Lebensmittelpreise auch hierzulande nicht mehr zukunftsfähig erscheint.
An Windkraft mangelt es
Im Süden Deutschlands ist neben der Solarenergie gerade in der Windkraft noch sehr großes Potential zu heben. Denn während Niedersachsen 2020 prognostizierte über 43% seiner Bruttostromerzeugung allein aus Windkraft zu beziehen, gewann man in Baden-Württemberg im Jahr 2020 gerade mal 6,7% und in Bayern sogar nur 6,4% aus Windkraft. Zwar hat Niedersachsen mit seinen Off-shore Anlagen einen großen Standortvorteil, aber nichts destotrotz muss man dem CGM-Bundesvorsitzenden Reiner Jahns zustimmen. Dieser kommt zu dem klaren Urteil: „Die Länder im Süden Deutschlands sind in Sachen Windkraft Entwicklungsländer. Sie drohen nicht nur – nein, sie sind in diesem Punkt vom Norden Deutschlands abgehängt!“
»Die Länder im Süden Deutschlands sind in Sachen Windkraft Entwicklungsländer.«
Dieser Fehler des Südens ist laut Reiner Jahns aber keine kleine Nachlässigkeit. „Die Energieversorgung ist für die Industrie der Zukunft der wahrscheinlich wichtigste Punkt. Wenn sich da nichts ändert, werden es die Industriestandorte im Süden noch deutlich zu spüren bekommen!“
Der Artikel ist erstmals als Titelthema in der DGZ 02/2022 erschienen und wurde hier ohne inhaltliche Aktualisierung wiederveröffentlicht.