Wenn Konflikte in den Abgrund führen
Differenzen und Konflikte begegnen uns allgegenwärtig und sind Teil des Menschseins. Entgrenzen diese jedoch, wird durch die streitenden Konfliktparteien nicht nur den Mitarbeitenden, sondern auch dem Unternehmen ein erheblicher Schaden zugefügt. Dabei nehmen Frauen verbale Attacken und das Streben nach Dominanz vor dem „Bruch“ der Parteien als belastender wahr als ihre männlichen Kollegen. Das CGM-Frauennetzwerk „connected women at work“ hilft Betroffenen dabei, sich für den Umgang mit Konflikten zu stärken und Auswege zu finden.
Seit den 1980er erklärt uns der österreichische Konfliktforscher Friedrich Glasl unermüdlich, wie wir Konflikte erkennen, einordnen und wenn möglich friedlich beilegen können. Konflikte teilt Glasl in drei Ebenen mit jeweils 3 Eskalationsstufen ein. So beschreibt er wie Konflikte immer mehr in den Abgrund führen. Auf der ersten Eben bis zur Schwelle zur 4. Stufe hin, gibt es noch für beide Parteien die Chance als Gewinner (Win-Win) den Konflikt zu befrieden. Danach passieren die Konfliktparteien die sogenannte „Grenze zur Selbsthilfe“.
Ab dieser Grenze gibt auch einen Verlierer und die Konfliktgegner können nicht mehr aus eigener Kraft den Konflikt beilegen (Win-Lose). Im besten Fall, kann hier noch die sogenannte „Nachbarschaftshilfe“ einspringen. Unbeteiligte, neutrale Personen aus dem Umfeld den Konfliktparteien müssten in diesem Fall ein Ausweg aus den Konflikt aufzeigen. Ansonsten benötigt die Konfliktparteien externe professionelle Prozessberatung. Falls sogar bereits Drohstrategien im Konflikt gang und gäbe sind, bedarf es wahrscheinlich einer externen System-therapeutische Prozessbegleitung bzw. Mediation, um den Konflikt befrieden zu können.
Richtig wüst geht es ab der 7. Eskalationsstufe zu, die „Begrenzte Vernichtungsschläge“ heißt. Ab dieser Stufe gibt es nur noch Verlierer (Lose-Lose). Hier bedarf es Maßnahmen wie Schiedsverfahren oder Machteingriffs, um den Konflikt beizulegen. Konflikte ab dieser Stufe sind sehr toxisch und können bis in die Insolvenz des Unternehmens eskalieren. Die Konfliktparteien streiten auf der letzten Stufe „bis in den gemeinsamen Abgrund“. Dies kann sogar so weit gehen, bis zum Beispiel das eigene Häuschen für die Prozesskosten verkauft werden muss. Alles schon vorgekommen.
Die Schwellen als entscheidende Wendepunkte im Konfliktverlauf
Ein Konflikt eskaliert nicht schleichend, sondern springt von Stufe zu Stufe dem Abgrund entgegen. Die Kooperation, die das Wort als wichtigstes Mittel in der Auseinandersetzung sieht, tritt zum Beispiel mit dem Überschreiten der Schwelle zur dritten Eskalationsstufe „Taten statt Worte“ hinter dem Konkurrenzverhalten zurück. Drohgebärden und Taten dominieren ab jetzt zusammen mit einem zunehmenden „Verbalradikalismus“ den Konflikt. Die Konfliktparteien sehen nicht mehr das Heil in der Kommunikation, sondern in einseitigen Aktionen, um die Gegenpartei für ihren Standpunkt zu gewinnen. Der Weg zurück wird nun immer schwieriger. Im Verlauf der dritten Stufe kommt es dann zu einem Bruch der Parteien.
Es gibt eine unterschiedliche Wahrnehmung
Die empirischen Forschungsprojekte von Glasl zeigen nun auf, dass es einen Unterschied bei Frauen und Männern in der Wahrnehmung gibt.
Worum geht es da konkret?
Auf der zweiten Eskalationsstufe „Debatte, Polemik“ versuchen die Parteien trotz extremer, unbeherrschter Äußerungen, immer noch die Balance zwischen einer kooperativen und der konkurrierenden Einstellung zur Gegenpartei zu erhalten. Sie versuchen, dass die Gegenpartei ihr Interesse an einer Aufrechterhaltung der Beziehungen und an der gegenseitigen Auseinandersetzung nicht verliert. Die Kommunikation ist durch einen sogenannten „Verbalradikalismus“ geprägt, in dem die Redner auf rhetorische Tricks zurückgreifen, um eine Zustimmung für ihre Standpunkte zu erhalten. Das ist ein indirektes Manipulieren der Gefühle der anderen Partei. Die Kernfrage des Konflikts auf dieser Stufe ist, „Welches ist der bessere Standpunkt, und wer vertritt seinen Standpunkt besser?“ Unterschwellig kommt dabei das Gefühl der Revanche auf.
Entscheidender Wechsel auf die 3. Stufe
Der Konflikt eskaliert auf die dritte Stufe „Taten statt Worte“, sobald eine der Parteien meint, der anderen das Recht auf Erwiderung und Rechtfertigung abzusprechen. Die Schwelle wird dann durch bewusst provozierte oder unbeherrschte Aktionen überschritten und der Konflikt verändert sich deutlich.
Doch wie wird die Schwelle zur dritten Eskalationsstufe erlebt? Mit einer Angst vor Intensivierung. Denn nun wird nicht mehr debattiert und polemisiert, um den anderen zu einer Änderung seines Standpunktes zu bewegen. Dies geschieht nun nur um „post-factum“, also im Nachhinein, diesen anzugreifen und dabei das eigene Handeln zu rechtfertigen. Wird die dritte Stufe passiert, endet mit der Schwelle zur vierten Stufe „Images und Koalitionen“ die Möglichkeit zur Selbsthilfe.
Signale, die Unternehmen in eine höhere Konfliktfestigkeit lotsen können!
Worauf können Betriebsratsmitglieder achten, um Mitarbeitende im Unternehmen vor eskalierenden Konflikten besser zu schützen?
Das Signalverfahren nach Glasl hilft, die ersten Anzeichen von Spannungen und Reibungen sichtbar zu machen und weiterzuleiten, um die Konfliktfestigkeit von Organisationen zu verbessern.
Die Befragungen können schriftlich erfolgen durch:
- Mitarbeiterbefragungen zum Klima, zu den Vertrauensbeziehungen untereinander und zu Vorgesetzten, zur Identifikation mit den Anliegen des Unternehmens etc.
- Beschwerdebriefkästen
- Heiß-kalt Landkarten – Die Befragten malen anonym in das Organisationschema mit roten Farben die Zonen beginnender heißer Konflikte und mit blauen Farben, wo sich „Kältezonen“ im Betrieb bilden.
- Fitness-Checks (Gesunden-Untersuchungen zur Vorbeugung) mit denen die Organisation ganzheitlich auf Problemzonen abgetastet wird (Glasl, Kalcher, Piber 2020).
- Systematische Auswertungen des betrieblichen Zahlenmaterials zu Krankenstand, Abwesenheiten, Fluktuationen , Kündigungen etc.
- Vorausschauende Problemsammlungen – Diese richten ihr Interesse auf mögliche Spannungsfelder, die durch vorhersehbare Veränderungen im Umfeld der Organisation auftreten können.
Angst als treibender Faktor
Die Grenze zur Selbsthilfe wird passiert und Angst wird jetzt zu einem treibenden Faktor. Denn sowie eine Partei befürchtet, dass ihr eigenes Image in Gefahr geraten kann, versucht diese vorauseilend den Konflikt auf ihre Umgebung zu übertragen. Auch werden Mitarbeitende aus dem direkten Umfeld in die soziale Arena mit hineingezogen. Man will der Gegenpartei einen Schritt voraus sein, ehe diese eventuell das eigene Image beschädigt. Das treibt den Zirkelprozess der Eskalation weiter an. Das Image und die Koalition sind die beherrschenden Themen auf der vierten Eskalationsstufe, ab der es nur noch darum geht, wer gewinnt und wer verliert. Wahrheit gegen Lüge. Doch muss es so weit kommen?
Konfliktmanagement ist ein Frauenthema!
Solange sich die Konflikte in den ersten drei Eskalationsstufen bewegen, können beide Parteien als Gewinner aus diesem Konflikt aussteigen. Friedrich Glasl weist nun auf die die Ergebnisse seiner empirischen Forschungsprojekte hin. Diese zeigen auf, dass Frauen auf der zweiten Eskalationsstufe „Debatte, Polemik“ das verbale Abwerten der Sachargumente und das Streben nach Überlegenheit schlimmer erleben als Männer. Auch das Überschreiten der Schwelle zur dritten Eskalationsstufe „Taten statt Worte“ wird von Frauen dramatischer empfunden. Frauen verfügen in diesen Situationen häufig über eine größere Sensibilität!
Damit ist Konfliktmanagement auch ein Frauenthema, dem sich das CGM Frauennetzwerk zuwenden möchte. Wir stellen uns die Fragen, wie können wir mit diesen Belastungen besser umgehen? Zumal die Konfliktmechanismen und -dynamiken auch beim Mobbing auftreten. Mobbing unterscheidet sich dadurch, dass hier ein kalter, verdeckter Konflikt vorliegt, der erst sehr spät auf der dritten Konfliktstufe „Taten statt Worte“ wahrgenommen wird. Zudem erlebt beim Mobbing eine einzelne Person die Anfeindungen einer Gruppe.
Eine weitere Frage ist, wie können Konzepte wie der „Dialog mit den eigenen Gefühlen“ Frauen darin unterstützen, in kritischen Situationen ihrer besonderen Sensibilität in der Wahrnehmung von verbaler Abwertung und von Überlegenheitsstreben zu vertrauen und besonnen zu handeln.
Konflikte in Entwicklungshelfer wandeln
Das Rüstzeug für unsere eigene Konfliktfähigkeit sind neben einer geschulten Wahrnehmungsfähigkeit für soziale Symptome auch eine gute Urteils- und Handlungsfähigkeit. Auf diese Weise kann man Konflikte möglichst früh erkennen und befrieden. Wenn dies gelingt, kann ein Konflikt eventuell sogar nützlich werden. So können nach Glasl durch eine konstruktive Konfliktbearbeitung, wenn auch erstmal ungebetenen, Konflikte zu wichtigen Entwicklungshelfern werden.